
„Corona“-Babys?!
Anstieg von Drittgeburten: Unsere „Corona-Babys“
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Lynette
Bild 1: Lynette mit Geschwistern und Eltern
Lynette wurde am 01.06.2021, sprich heute am Internationalen Kindertag, geboren. Sie ist das fünfte gemeinsame Kind von Nadine und Thorsten aus Nordrhein-Westfalen.
„Ich [Mutter Nadine] war 44 Jahre alt, als ich von der Schwangerschaft erfuhr. Wir hatten zu dem Zeitpunkt bereits vier Kinder und unsere Familienplanung war eigentlich auch aufgrund meines Alters abgeschlossen. Für mich war die Schwangerschaft völlig überraschend. Ich habe sie anfangs auch nicht bemerkt. Für In-den-Körper-hineinzuhorchen blieb mir damals im Lockdown auch gar keine Zeit. Man selbst stand mit seinen Bedürfnissen hinten an und hat versucht, so gut es geht, das Homeschooling der Kinder nebst eigener Arbeit irgendwie zu bewältigen. Wir waren mit allem Möglichen, was Corona mit sich gebracht hat, beschäftigt – aber nicht mit nochmaliger Elternschaft.
Dann kam die ganz unerwartete Nachricht. Fragen tauchten auch: Können wir das noch einmal packen? Wie kommen wir als Familie damit klar? Wie sehr geht das an unsere Belastungsgrenze? Wie alt bin ich, wenn unser Kind 20 ist? Fragen nach der finanziellen Situation waren da, aber nicht vordergründig; wir stehen beide mitten im Job.
Wir haben uns für eine erneute Elternschaft entschieden. Weihnachten 2020 haben wir es unseren großen Kindern gesagt. Die Älteste ist 14, die anderen 11 und 9 und die Jüngste ist 8 Jahre alt. Ganz ehrlich, die Kinder waren über unsere „frohe Botschaft“ zunächst nicht begeistert. Durch den Lockdown sind wir nicht nur als Familie, sondern auch die Kinder untereinander zu einer eingeschworenen Gemeinschaft näher zusammengerückt. Wie sollte das mit großem Altersabstand klappen?
Diese fünfte Schwangerschaft verlief anders als die anderen. Ich hatte eine Placenta praevia totalis, das heißt, dass der Mutterkuchen den Geburtskanal „versperrt“. Drei Wochen vor dem geplanten Termin musste ich stationär aufgenommen werden. Dadurch war auch die Geburt anders als die anderen, die vergleichsweise „locker flockig“ verliefen. Mein Mann war außen vor. Er wurde zu Hause gebraucht. Aufgrund meiner Indikation wurde uns über die gesetzliche Krankenversicherung eine Haushaltshilfe zur Seite gestellt, die die Familie an allen Ecken und Enden unterstützt hat. Die Geburt war komplex, aber Ende gut, alles gut.
Wäre Corona nicht gewesen, würde es Lynette nicht geben. Inzwischen sind alle sehr glücklich, dass sie da ist und auch die Großen verstehen nicht, warum sie dem Geschwisterkind gegenüber anfangs so skeptisch eingestellt waren.“
Zu heutigen Jahrfeier gratuliert der KRFD recht herzlich und wünscht Lynette und ihrer Familie alles Gute!
Sonja
Bild 2: Sonja mit Mama Steffi
Sonja ist das dritte Kind von Steffi aus Thüringen. Sonja wurde zu einer Zeit geboren, in der sich sehr viele Menschen mit Corona infizierten, so auch die Familie selbst, mit erheblichen Auswirkungen auf die Geburt.
„Mein Mann und ich sind Einzelkinder und für uns war klar, dass wir uns drei Kinder wünschen. Ich bin Lehrerin und habe meinen Job in der Corona-Zeit gekündigt. Unsere Sonja ist ein geplantes Wunschkind. Ihre Geschwister Mathilda und Johann sind 8 und 5 Jahre alt.
Meine dritte Geburt plante ich im Geburtshaus in Jena. Alles war vorbereitet, die Schwangerschaftsbetreuung erfolgte durch die Hebammen des Geburtshauses. Doch am Ende sollte es anders kommen…
Die letzten Tage vor der Geburt waren der pure Ausnahmezustand, denn kurz vor Weihnachten 2021 infizierten sich nach und nach alle Familienmitglieder mit dem Corona-Virus. Mit positivem Test durfte ich nicht ins Geburtshaus. Doch aufgrund der Weihnachtsfeiertage kam das PCR-Testergebnis so spät, sodass sich die Quarantänezeit bis weit in den Januar hineinzog. Somit erfolgte die Geburtsanmeldung im Krankenhaus. Errechneter Geburtstermin war der 27.12.2021 und unsere Kinder hatten sich bisher immer an das Datum gehalten. Mit der Gewissheit, unter Quarantänebedingungen nur allein ins Krankenhaus zu dürfen, fuhr ich fassungslos wieder nach Hause. Meinem Mann ging es zu diesem Zeitpunkt noch schlecht und die letzten Tage vor der Geburt mit schwangerer Frau und zwei Kindern zu Hause brachten nicht die ersehnte Erholung. Meine Mama konnte uns auch nicht unterstützen; war sie doch selbst auch in Quarantäne.
Das führte dazu, dass wir zwei Wochen lang richtig krank waren und die eigentlich geplanten Aufgaben, Wickeltisch aufbauen, Bett bereitstellen, Windeln kaufen etc., liegen blieben. Um die Weihnachtszeit habe ich seit einigen Jahren mit einer Nasennebenhöhlenentzündung zu kämpfen – so auch 2021. Zusätzlich. Also fühlte ich mich auch schwach und mit der schlimmsten Vorstellung, mein Baby nicht riechen zu können und allein ins Krankenhaus zu müssen, verbrachte ich noch sechs Tage nach errechnetem Termin zu Hause.
Am 02.01.2022 kam mittags mit dem ersten Sonnenschein des neuen Jahres endlich meine Mama, deren Quarantäne eher endete als unsere, zu Hilfe. Kurz darauf konnte ich mich ‚entspannen‘, wusste, dass meine Kinder und mein Mann Unterstützung hatten, und prompt setzten die Wehen ein. Meine Mama fuhr mich gegen 18 Uhr ins Krankenhaus und gab mir so wertvolle Worte mit auf den Weg, um das bevorstehende eigentlich schöne Ereignis allein meistern zu können.
Im Kreißsaal war mein Schnelltest negativ, aber es zählte meine Quarantänezeit. Hätte man einen erneuten PCR-Test gemacht, und wäre dieser auch negativ gewesen, wäre mir die Behandlung als ‚hochansteckende Corona-Patientin‘ erspart geblieben. Im Krankenhaus war ich von der ersten Minute an ein Patient und fühlte mich nicht mehr als Frau – Mutter – Mensch. Ich ließ alles geschehen, ging in mich, blendete alles Unnötige aus und hielt kurz nach 21 Uhr meine Tochter Sonja in den Armen. Hebamme und Ärztin hatten 22 Uhr Schichtwechsel, die Zeit lief, mich als Drittgebärende noch in dieser Schicht „abzufertigen“. Somit wurde ich zu einem „pathologischen Fall“ und meine Wunschgeburt ohne Interventionen blieb Vision und war weit entfernt von meinen individuellen Bedürfnissen, von entspannter Atmosphäre, Zeit zum Loslassen und Mitgefühl seitens der Anwesenden.
Nach dieser Geburt war ich aus meiner Mitte gerissen und konnte keine gut überlegten Entscheidungen treffen. Aus diesem Grund folgte ich dem Angstszenario der Hebammen, Frauen – und Kinderärzte. Ich blieb drei Tage im Krankenhaus. Allein, kraftlos im Isolierzimmer.
Die Hebammen und Pflegekräfte brauchten sehr lange, ehe sie in vollem Ganzkörperschutzanzug steckten und mein Zimmer betraten. Das Zimmer war eher ein Durchgangszimmer und nicht für Mama mit Baby eingerichtet. Es gab noch keinen Wickeltisch, Babysachen und co. Alles wurde erst nach und nach durch mein Nachfragen herangebracht. Das Tablett zum Essen wurde auf den Schutzanzug-Mülleimer im Eingangsbereich des Zimmers gestellt, sodass ich es mir selbst abholen musste. Ich habe mich irgendwie durchgequält. Und glücklicherweise gab es zwei gute Seelen im Krankenhaus, die mir Mut zusprachen, wertschätzende Worte hinterließen und einfach kurze Zeit da waren, für mich, meine Sorgen und für meine Tochter.
„Corona“-Baby ja oder nein? Ich denke an die Handschuhe und Masken im Kreißsaal, an das kalte Desinfektionsmittel überall und ständig. Auch nach der Geburt ist mir und meinem Baby niemand ohne Handschuhe „zu nahe gekommen“. Und da körperliche Nähe in Zeiten von Corona in so vielen Bereichen gefehlt hat, ist das für mich ein Punkt, an dem ich sehr schmerzlich zurückdenke. Diese körperliche Nähe in den ersten Tagen… wurde uns auch als Familie genommen und man kann diese Zeit nicht zurückholen. Diesen Schmerz des Sicheinsamfühlens und diese Erfahrung, dass ein Neugeborenes nicht im Kreis seiner Familie empfangen werden durfte, werde ich noch lange mit mir herumtragen. Das ist auch mit nichts zu rechtfertigen! Aus heutiger Sicht wäre es meine Aufgabe gewesen diesen Angstkreislauf zu durchbrechen und für eine selbstbestimmte Geburt einzustehen. Mir fehlte die Kraft und ich werde daraus lernen dürfen.“
Cornelius
Cornelius ist das vierte gemeinsame Kind von Lena und Ivan mit den Geschwistern Nikolai, Natalie und Jonathan aus Nordrhein-Westfalen. Er wurde am 18.04.2021 geboren.
„Cornelius kam eher ungeplant daher. Das hat per se nichts mit Corona zu tun. Ich habe beim 3. Kind gemerkt, dass unsere Familien mit drei Kindern noch nicht ganz vollständig sei. Mein inneres Gefühl war, dass es auch nicht schlimm wäre, wenn sich eine Schwangerschaft einstellen würde.
Ich arbeite stundenreduziert, jedoch in einer Führungsposition. Ich war systemrelevant. Mein Mann arbeitet Vollzeit und hat auch weiterhin im Büro gearbeitet, sodass wir auch (normal wie ohne Corona) zu jeder Zeit ins Büro mussten. Das kam mir ganz entgegen, weil ich im Corona-technisch organisierten Familienalltag weder Platz noch Ruhe gehabt hätte, um zu Hause zu arbeiten. Deswegen bin ich auch lieber ins Büro gefahren. Die Angst vor einer möglichen Infektion habe ich vor mir hergeschoben. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Kinder aus Kita und Schule was mit nach Hause bringen würden, ist für mich größer, als dass ich mich im fast leeren Büro mit FFP2-Maske auf Abstand zu meinen getesteten Kollegen anstecke.
Während der Schwangerschaft lief gar nichts an Kursen. Das empfand ich nicht als schlimm, weil ich beruflich eh eingebunden war und weil man beim vierten Kind tatsächlich entspannter ist. Meinen Rückbildungskurs machte ich online, teils mit allen vier Kindern um mich herum.
Rückblickend war die Schwangerschaft für mich keine normale. Es blieb weder vor noch nach der Geburt Zeit zum Genießen. Am Heftigsten empfand ich die Phase des Beschulens. Mit Baby ging es sofort nahtlos weiter. Das war der Wahnsinn! Ich hatte danach Elternzeit. Keine Ahnung, wie viel ich sonst hätte realistisch und effektiv arbeiten können.“
Constantin
Bild 3: Constantin mit Eltern und sechs Brüdern
Constantin aus Bayern wurde am 9. Mai 2022 als siebter Sohn von Cornelia und Marcel geboren. Für die Familie ist er nicht das einzige „Corona“-Baby.
„Unser Zuhause ist in Bayern. Dort leben wir auf einem Grundstück mit viel Platz im Garten inmitten von Feldern und Wiesen auf dem Land. Wir – das bin ich (Cornelia), mein Mann Marcel und unsere Kinder Naim (14), Elias (9), Tamino (8), Noah (4), Tristan (2), Valentin (1) und seit knapp drei Wochen nun auch unser Baby Constantin. Unser Bezug zu „Corona“? - Wir haben in jedem Pandemiejahr ein Baby hinzubekommen.
Vor Corona knapp drei Jahren (2020) kam Tristan auf die Welt. Die erste Anfangsphase war für uns richtig schwer. Mitten im ersten Lockdown waren wir plötzlich alle zu Hause. Der Stress war jedoch zu groß. Ich musste zusätzlich Lehrerin und Sekretärin spielen; das hat bei uns von jetzt auf gleich nicht geklappt, weil auch die Schulen und Politik einfach überfordert waren anfangs. Wir haben drei bis vier Wochen als Familie mit der neuen Situation richtig zu knabbern gehabt. Dann habe ich einen Plan geschrieben, durchstrukturiert für 24 Stunden sieben Tage die Woche, einfach um eine Alltagsstruktur reinzubekommen. Wir haben seitdem Kochabende und kulinarische Reisen für uns entdeckt, die wir uns selbst ausdenken. Dennoch war es für mich körperlich zu viel, sodass ich Tristan nach zwei Monaten abstillen musste. Mein Mann ist Lokführer und war damit „systemrelevant“. Immerhin konnte dann einer der kleinen (Tamino) in den Kindergarten gehen, da er auch im Vorschuljahr war.
Im Sommer 2020 bin ich wieder schwanger geworden. Das war in einer der akuten Pandemie-Hochphasen. Ich hatte Angst vor einer Entbindung im Krankenhaus; hatte ich doch bis dato nur Horrorgeschichten gehört, wie schlimm das alles wäre… Also planten wir wieder eine Hausgeburt. Die Hebamme hat uns von Anfang an begleitet und kam nach Hause. Valentin brauchte dann dennoch seinen „besonderen Auftritt“, sodass wir die Hausgeburt abbrachen und die Geburt letztendlich doch im Krankenhaus stattfand. Die Geschichten über einen Krankenhausaufenthalt, die ich zu Ohren bekam, kann ich nicht bestätigen. Ich wurde mit Presswehen ins Krankenhaus gebracht – Zeit für Maske blieb keine; mir blieb fast eh die Luft weg. Und auch das wurde akzeptiert. Das Personal war trotz Personalnotstand unglaublich bemüht und herzlich. Nach zwei Stunden habe ich das Krankenhaus wieder verlassen. Valentin ist jetzt übrigens unser einziges Kind, was keine Babyparty aufgrund der Schutzverordnungen bekommen konnte. Alle anderen haben eine bekommen, nur er nicht. Das sind Kleinigkeiten, die uns wichtig sind und die unwiderrufbar fehlen uns.
Nach vier Märzkindern haben wir mit unserem jüngsten Sohn Constantin ein Maikind 2022. Er ist unsere dritte Hausgeburt. Die Schwangerschaft verlief wesentlich entspannter und unkompliziert. Schule und Kita waren wieder geöffnet. Constantin hat eine umso größere Babyparty bekommen. Eigentlich ist es ja auch eine Feier für die Mama. Man feiert das Zusammenkommen, die Mutter und das Glück des Lebens.
Nun haben wir sieben Jungs in Pubertät, Vorpubertät, Kindergarten und Babyalter. Wir haben alle Höhen und Tiefen durchlebt, v.a. die älteren Jungs hatten wirklich zu knabbern. Dennoch versuchen wir das Positive rauszufiltern. Wir haben als Familie viele Sachen gemacht, die auch geblieben sind. Zum Beispiel haben wir viel bei uns Daheim gewerkelt. Vor allem für die Kinder haben wir den Garten in einen Abenteuerspielplatz umgewandelt – mit eigenem Pool. Nachdem unser Urlaub immer und immer wieder verschoben werden musste, haben wir das Geld anders investiert. Mit sieben Kindern, von denen vier Nichtschwimmer sind, ist das Planschen jetzt zu Hause deutlich entspannter. Mein Mann ist handwerklich begabt und macht das alles mit – egal wie verrückt meine Ideen sind. Das rechne ich ihm hoch an. Außerdem geht mein Mann in 9 von 10 Fällen einkaufen. Vor Corona war ich die Einkäuferin.“