"Hilfe für schwerstkranke Kinder bedeutet Hilfe für die ganze Familie" - Interview mit Christine Bronner (AKM)

"Hilfe für schwerstkranke Kinder bedeutet Hilfe für die ganze Familie" - Interview mit Christine Bronner (AKM)

Im Interview: Christine Bronner

Das nachstehende Interview mit Christine Bronner erschien zunächst in verkürzter Form in unserem Mitgliedermagazin „3+familie“ (Ausgabe Nr. 6 / 2018). Nachstehend veröffentlichen wir die volle Langfassung.

An dieser Stelle möchten wir Sie ferner noch auf unser Mutmacher-Projekt aufmerksam machen. Mit "Mutmacher" will der KRFD e.V. Eltern, deren Kinder behindert oder von Behinderung bedroht sind, Mut machen, unterstützen, begleiten und Mehrkindfamilien stärken, zur aktiven gesellschaftlichen Teilhabe und zur (Mit-)Gestaltung ihres Sozialraumes anregen. Es richtet sich an Familien aus ganz Deutschland. Eine Mitgliedschaft im KRFD e.V. ist nicht erforderlich. Mehr Informationen finden Sie hier.

KRFD: Frau Bronner, Sie betreuen und begleiten Familien in schweren Lebensphasen. Wo sehen Sie die besonderen Stärken von Familien in der Bewältigung solcher Situationen?

Christine Bronner: Die Familien haben oft unglaubliche Ressourcen. Im System der Familie bilden sich die Stärken von jedem oft auf überraschende Weise aus. Deswegen ist es wirklich wichtig, die ganze Familie im Blick zu haben und auch an Unterstützungswillen im erweiterten Familienverbund zu appellieren.

KRFD: Was sind Ihrer Erfahrung nach die größten organisatorischen/finanziellen/menschlichen Belastungen, die auf Familien zukommen?

Christine Bronner: Zunächst will die Familie es alleine schaffen und kommt damit oft an die Grenzen ihrer Belastbarkeit. Häufig leidet die Paarbeziehung darunter enorm. Es ist jedoch nicht leicht, um Hilfe zu bitten, im Gegenteil. Uns würde es bestimmt genauso gehen. Es ist immer deutlicher geworden, dass die Bitte um Hilfe der erste, der bedeutsamste und zugleich der schwierigste Schritt ist.
Die finanzielle Seite ist ein weiteres Thema. Nicht zuletzt wegen der Wohnsituation im Großraum München arbeiten meist beide Elternteile. Wenn ein Kind Pflege benötigt, fällt meistens ein Gehalt ganz aus oder die Einnahmen werden durch Reduzierung auf  Teilzeit oder vollständige Arbeitsplatzaufgabe  im Rahmen der erforderlichen Pflege geringer. Wenn in dieser ohnehin schon angespannten Situation Investitionen nötig werden, etwa ein Umbau oder ein besonderes Bett oder ein Auto anzuschaffen sind, wird es schnell eng. Wir sprechen hier nicht von luxuriöser Ausstattung, sondern von ganz grundlegenden Dingen für die Pflege eines kranken Kindes. Eine weitere Belastung stellt das Dickicht der Formulare dar. Das kann Familien schier erdrücken.
Dies alles belastet die Familien enorm und verstellt den Blick für den unmittelbar nächsten notwendigen Schritt.
Bei vielen Krankheiten verlieren Kinder ihre Sinneswahrnehmung und können selbst einfache Dinge nicht mehr ohne Hilfe meistern. Dieser Prozess der immer weiteren Einschränkung, des immer enger werdenden Lebenskreises ist für die Familien an sich schon schmerzhaft. Hinzu kommt die immer mühevollere Organisation des Alltags. Allein die Logistik erfordert enorme körperliche Kräfte. All das wird begleitet durch ständiges Hoffen und Bangen.   

KRFD: Aus welchen Erfahrungen heraus entstand die Stiftung AKM?

Christine Bronner: Als Fachfrau und aus meiner ehrenamtlichen Tätigkeit im Erwachsenenhospiz hatte ich festgestellt, dass es in diesem Bereich an allen Enden mangelt. Persönliche Betroffenheit und professionelle Erfahrung haben mich initiativ werden lassen. Ich wollte ein Angebot schaffen, das auf die konkreten Bedarfe und Bedürfnisse der Familien eingeht und ihnen gerade dann unter die Arme greift, wenn sie unter der Last zusammen zu brechen drohen. Ich rannte und renne ich gegen viele Wände. Dabei haben sich die Krankenkassen als durchaus kooperationsbereit und unterstützend erwiesen. Bei Entscheidungsträgern in der Politik fehlt das Problembewusstsein für die besondere Situation dieser Familien. Die Erwachsenenhospizarbeit ist eine ganz andere Art von Arbeit als die Kinderhospizarbeit, dies sollte nicht in den Vergleich gestellt werden.
Noch immer wird nicht verstanden, dass Kinder eine spezifische Versorgung benötigen und dass man für ihre Versorgung nicht ohne ihre Eltern und Geschwister denken kann. Ein schwerstkrankes Kind bedeutet den Ausnahmezustand für eine ganze Familie.

KRFD: Wobei brauchen die Familien konkrete Hilfe, wenn eine Diagnose sie trifft? (Ärzte, Therapien, Betreuung, Stw. "Lotse" durch das System)

Christine Bronner:  Wir wollen die Familien aus sich heraus stärken und ihnen helfen, die Situation gemeinsam zu meistern. Wir beraten und unterstützen die gesamte Familie und helfen ihr, sich im Dickicht von Kliniken,  Behörden und Pflege zurecht zu finden.
Ergänzend vermitteln wir die  Begleitung durch ehrenamtliche Familienbegleiter. Auch Herzenswünsche werden erfüllt oder wir finanzieren Bedarfe, wie z.B. die Unterbringung in einer geeigneten Bildungseinrichtung von Patienten oder ihren Geschwistern.

KRFD: Wie erleben Geschwister die Krankheit eines Bruders oder einer Schwester?

Christine Bronner:  In Familien mit einem schwersterkrankten Kind konzentriert sich zunächst alles auf das erkrankte Kind. Alles andere und alle anderen müssen hinten anstehen. Auf Dauer gerät aber die Familie aus der Balance, wenn die Bedürfnisse der Geschwister und beider Partner gar nicht mehr wahrgenommen werden.
Eine Familie ist immer individuell zu betrachten und jedes Familienmitglied nimmt eine ganz eigene Rolle in diesem Gefüge ein. Deswegen gibt es für jede Familie eine Lösung, aber nicht eine Lösung für alle Familien. Das erkrankte Kind steht im Mittelpunkt. Auch weil niemand weiß, wie viel gemeinsame Zeit noch bleibt. Die Familien wollen jeden erdenklichen Wunsch erfüllen, so viel gemeinsame Erlebnisse schaffen wir irgend möglich.  Sobald die schwerstkranken kleinen Patienten versorgt und betreut sind, wendet sich die Stiftung den Eltern und Geschwistern zu. Denn die brauchen ebenso dringend Hilfe.
Die Menschen gehen sehr verschieden mit Trauer und Verlust um. Geschwister erleben den Tod von Bruder oder Schwester verschieden, wollen reden oder schweigen. Auch Mütter und Väter haben zuerst einen individuellen Weg, mit dem Schmerz umzugehen, bevor sie einen gemeinsamen Weg suchen.
Damit alle Mitglieder in der Familie oder Betroffene im Umfeld der Familie gut umsorgt, gehört und verstanden sind, bietet die Stiftung AKM zugeschnittene Leistungen, wie etwa die  Angehörigenberatung oder die teilhabeorientierte Nachsorge an. Seit 2017 sind wir in diesem Bereich noch stärker aktiv denn wir sehen, dass Hilfe zur Selbsthilfe der beste Weg ist, den Familien auf die Beine zu helfen.

KRFD: Wie schaffen es Eltern, für die "gesunden Kinder" noch die "Starken" zu sein?

Christine Bronner:  Müssen Eltern immer stark sein? Auch für Eltern muss es einen Raum geben, wo sie nicht stark sein müssen, sondern Kraft tanken können, um dann wieder den Kindern gerecht werden zu können. Es sollte auch Zeiten geben, in denen eine Familie gemeinsam traurig und schwach sein darf. Dann darf sie sich wieder aufraffen und weitermachen. Schwierig wird es, wenn die Kinder über längere Zeit stärker sein müssen als die Eltern. Dann benötigen die Eltern dringend therapeutische Unterstützung und die Kinder entsprechende Angebote. 

KRFD: Hat sich die Arbeit der Stiftung AKM verändert, gibt es Trends? Wie verändern sich Familien?

Christine Bronner:  Der Zusammenhalt von Familien und deren Verbund hat sich verändert. Die Großeltern und Verwandte sind deutlich weniger eingebunden in den familiären Alltag als früher. Onkel und Tanten sind oft keine direkten Bezugspunkte mehr. Die „Gesellschaft“ oder zivile Helfer, wie Ehrenamtliche werden deshalb deutlich mehr gebraucht.  

KRFD: Wie erleben Sie den gesellschaftlichen Umgang mit dem "Ausnahmezustand Krankheit"?

Christine Bronner:  Generell kann man das nicht beantworten. Meist wird kurzen heftigen Krankheiten viel Mitgefühl entgegen gebracht und spontan unterstützt und selbstverständlich entlastet. Langwierige Verläufe beanspruchen das Umfeld dauerhaft und stellen eine größere Herausforderung dar. Diese Kinder und Jugendlichen mit ihrem besonderen Rhythmus wirklich zu integrieren ist wirklich eine große Aufgabe.

KRFD: Wie gewinnen Sie Spender? Haben Sie Überraschungen erlebt?

Christine Bronner:  In den meisten Fällen öffnet die richtige Ansprache die Tür. Wir müssen den richtigen Ton für die Zielgruppe finden. Die Menschen helfen nach ihren Möglichkeiten gern und da sollte man sie auch anfragen. Unternehmer etwa bringen sich gern bei Finanzthemen ein, die großzügige ältere Dame möchte gern wissen, welche Herzenswünsche wir dank ihrer Hilfe realisieren können. Wir stellen die Stiftung auf vielfältigen Veranstaltungen mit Info-Ständen vor und versuchen, mit Menschen ins persönliche Gespräch zu kommen.
Unternehmer sprechen wir schon mal direkt an und bieten Vorträge an, um unsere Arbeit gerade auch bei den Mitarbeitern vorzustellen. Oft bringen wir eine konkrete Idee mit, die sich in das Firmenleben ohnehin einfügt, wie etwa ein traditioneller Firmenlauf. Allerdings gibt es tatsächlich auch den Fall, dass wir einfach einmal das Branchenbuch aufmachen und Unternehmen kontaktieren. Überraschungen erlebt man immer wieder. Vor einigen Wochen überbrachten uns zwei Grundschülerinnen in einer Tupperdose 50 Euro. Sie hatten mit ihren Mamas gebacken haben und den Kuchen bei einer Tour durch die Nachbarschaft verkauft. Das hat uns wahnsinnig gefreut. Die Kinder haben nicht an sich gedacht, sondern an andere Kinder, denen es nicht gut geht.

KRFD: Haben Sie neue Projekte oder Pläne für die zukünftige Arbeit?

Christine Bronner:  Die Stiftung ist dabei, Leistungen für betroffene Familien in  Versorgungszentren zu bündeln, verteilt über ganz Bayern, mit dem Ziel einer flächendeckenden Versorgung ambulant, teil- und vollstationär. Besonders mangelt es an Beratung und an einer teil- und vollstationären Entlastung im Alltag. Hier möchte die Stiftung aktiv werden und zusätzlich zum ambulanten auch ein flächendeckendes Angebot an Tagesbetreuung und alternativen Wohnangeboten erreichen.

KRFD: Was wünschen Sie sich für die Familien?

Christine Bronner:  Unser großer Wunsch für die betroffenen Familien ist es mehr Inklusion und Gehör in der Gesellschaft zu erlangen. Jeder Mensch, egal ob klein oder groß, gesund oder krank, hat ein Recht auf ein erfülltes lebenswertes Leben in und mit der Gesellschaft.

KRFD: Vielen Dank für den Einblick in Ihre Arbeit.

Über die Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München (AKM):
Die Stiftung Ambulantes Kinderhospiz München (AKM). geht auf eine Initiative des Ehepaars Christine und Florian Bronner zurück. Persönliche Betroffenheit und Erfahrung sowie professionelles Können ließen sie 2004 den ersten eigenständigen Kinderhospizdienst in München ins Leben rufen. Bereits im Frühjahr 2005 gründeten sie die Stiftung „Ambulantes Kinderhospiz München – AKM“. Dank zahlreicher ehrenamtlicher Mitarbeiter und großzügiger Spender entstand ein Beratungs- und Betreuungszentrum für Krisenintervention, Kinderhospizarbeit, Angehörigenberatung und ambulante Nachsorge bei Familien mit schwersterkrankten Kindern. Heute verfügt der Dienst über ein multiprofessionelles Team aus Ärzten, Psychologen, Sozialpädagogen, Hebammen, Therapeuten und Pflegekräften.

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ÜBER DEN KRFD

Der Verband kinderreicher Familien Deutschland e.V. ist im Jahr 2011 aus der Initiative engagierter kinderreicher Familien entstanden, vertritt 1,4 Millionen kinderreicher Familien in Deutschland und setzt sich in Politik, Wirtschaft und Medien für ihre Interessen ein. Der Verband versteht sich als Netzwerk von Mehrkindfamilien, die sich untereinander unterstützen und die Öffentlichkeit für ihre Anliegen erreichen wollen. Der Verband ist konfessionell ungebunden und überparteilich.

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