KRFD zur Studie der Hans-Böckler-Stiftung
"Mittelbare Diskriminierung im Lohnsteuerverfahren. Auswirkungen auf Nettoeinkommen und Lohnersatzleistungen"
Mönchengladbach, 3. August 2020: Das Ehegatten-Splitting hat sich für Mehrkindfamilien bewährt. Viele Familien mit mehr als drei Kindern entscheiden sich bewusst für eine Arbeitsteilung aller in einer Familie anstehenden Aufgaben. Eine von beiden Eltern ausgeübte berufliche Vollzeit-Tätigkeit ist bei mehr als drei Kindern und dem erheblichen Mehraufwand an Erziehungs- und Hausarbeit, Betreuung und Begleitung oft nicht realisierbar. Mehrkindfamilien, bei denen die Eltern in der deutlichen Mehrheit der Fälle verheiratet sind, entscheiden sich deshalb für das Ehegatten-Splitting und eine entsprechende steuerliche Veranlagung. Die gegenwärtige Diskussion über eine leistungsangemessenere Besteuerung der Familien und eine gerechtere Gestaltung des Lohnsteuerabzugs ist begrüßenswert.
Das Bundesverfassungsgericht hat das Ehegatten-Splitting als leistungsgerechtes Verfahren bezeichnet. Dennoch steht das Splitting regelmäßig auf dem Prüfstand. Insgesamt müssen das Steuer- und Sozialrecht die aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen, wie etwa ein verändertes Selbstverständnis von Paaren, die gesteigerte Erwerbstätigkeit von Frauen sowie Gerechtigkeitsfragen angesichts häufig mindestens gleichwertiger Ausbildungen der Frauen, angemessen aufnehmen. Steuerlicher Handlungsbedarf besteht u.a. bei der Gestaltung des Lohnsteuerrechts, worauf die Studie der Hans-Böckler-Stiftung das Augenmerk richtet. Die Studie weist zu Recht auf die häufig nicht mitbedachten Folgen dieses Rechtsbereichs hin.
Bei der Wahl der Steuergruppen 3/5 wird das niedrigere Einkommen höher besteuert. Dies wirkt sich deutlich mindernd auf das monatliche Nettoeinkommen des in Klasse 5 veranlagten Gehaltes aus. Zwar wird die überproportionale Besteuerung am Jahresende wieder ausgeglichen, für die Berechnung von Lohnersatzleistungen, wie etwa Elterngeld, Krankengeld oder Arbeitslosengeld, ist das monatliche Nettoeinkommen dennoch maßgeblich. Mit dem „Faktorverfahren“ könnte dieser Wirkung schon jetzt vorgebeugt werden. Derzeit wird es jedoch kaum genutzt und bedarf der ausdrücklichen Beantragung. Hier gilt es, mit Gesetzesänderungen und Informationen abzuhelfen, insbesondere Familien auf unmittelbare und mittelbare Folgen ihres steuerlichen Modells aufmerksam zu machen.
Gegenwärtig liegen die erziehungsbedingten Auszeiten noch mehrheitlich bei den Müttern. Sie erleben häufig, wie diese Auszeiten als begründungsnotwendige Brüche in der Erwerbsbiographie der Rechtfertigung bedürfen und einen dauerhaften Einschnitt in die berufliche Entwicklung darstellen können. Die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch nach einer längeren familienbedingten Auszeit von der Erwerbstätigkeit ist daher weiterhin ein drängender politischer Auftrag. Das Ehegattensplitting aber ist für Mehrkindfamilien ein bewährtes Modell. Es sollte um ein Familienrealsplitting ergänzt werden, das die familiären Leistungen und notwendigen Aufwendungen präziser erfasst und die Steuerlast gerechter gestaltet. Zudem ist – wie die Studie der Hans-Böckler-Stiftung hervorhebt – das Lohnsteuerrecht auf ungerechte Auswirkungen und mittelbare strukturelle Ungerechtigkeiten hin zu prüfen.
Quelle:
Ulrike Spangenberg, Gisela Färber, Corinna Späth: „Mittelbare Diskriminierung im Lohnsteuerverfahren. Auswirkungen der Lohnsteuerklassen auf Nettoeinkommen und Lohnersatzleistungen“, Hrsg. Hans Böckler Stiftung, Working Paper Forschungsförderung NR. 190, Juli 2020